Bloody Nose, Empty Pockets:

Der Film Bloody Nose, Empty Pockets feierte 2020 seine Weltpremiere beim Sundance Film Festival und seine internationale Premiere im selben Jahr bei der Berlinale in der Panorama Sektion, bevor er trotz Corona-Pandemie eine beeindruckende Festivalkarriere absolvierte.

Synopsis:

Im Schatten der grellen Lichter von Las Vegas ist die letzte Runde gekommen für eine heißgeliebte Spelunke, das „Roaring 20’s“, Heimat und Familienersatz für eine buntgemischte Truppe von Stammgästen, die hier Ablenkung von ihrem rauen Alltag finden. Das ist die Grundidee von Bloody Nose, Empty Pockets, einem Film, in dem die Realität so unwirklich ist wie die Welt, der die Stammgäste entfliehen. Er ist ein Mosaik aus sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten und erzählt von den letzten Stunden einer Kneipe, in der wir Menschen begegnen, die sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, während sie einer ungewissen Zukunft entgegensehen, und die laut singen, während ihr Schiff untergeht.

Das Filmemacherduo Bill Ross IV und Turner Ross zeichnet das Porträt einer winzigen Welt vor dem Untergang, die aber ihren Bewohnern immer noch Wärme und Trost spendet. Die ungewöhnliche und fesselnde Herangehensweise der Filmemacher an das non-fiktionale Geschichtenerzählen sorgt für eine vernebelte Erinnerung an Ereignisse, die sich in leeren Schnapsgläsern und Rauchwolken verlieren.

Über Bill Ross IV und Turner Ross:

Die Ross Brothers sind ein amerikanisches Filmemacherteam, das unter anderem die preisgekrönten Filme „45365“ (2009), „Tchoupitoulas“ (2012), „Western“ (2015) und „Contemporary Color“ (2017) gedreht hat. Geboren und aufgewachsen in Sidney, Ohio, und beide Absolventen des Savannah College of Art and Design, begannen Bill und Turner Ross, in Los Angeles in der Filmbranche zu arbeiten, Bill als Cutter und Dozent für Filmregie, Turner in den Art Departments von Studiofilmen. Doch schon bald beschlossen sie, den Alltagsjobs in Hollywood zu entfliehen und die kreative Partnerschaft, die sie als Kinder begonnen hatten, fortzusetzen, indem sie ihre eigenen Filme drehten. In den vergangenen Jahren haben ihre Filme ihnen den Ruf eingebracht, zu den innovativsten und interessantesten Dokumentarfilmern der Gegenwart zu gehören, mit einem ganz eigenen, sich ständig weiterentwickelnden Stil. Ihre Kunstfertigkeit besteht in ungeschminkten Porträts und Streifzügen durch Räume, mit all der komplizierten humanistischen und lyrischen Wahrheit, die das mit sich bringt.

Ihre Arbeiten wurden in Museen und auf Filmfestivals auf der ganzen Welt gezeigt, darunter das Museum of Modern Art, das Lincoln Center in New York, das Centre Pompidou in Paris und das British Film Institute in London. Ihre Arbeit wurde vom Sundance Institute, dem Rooftop Filmmaker’s Fund, Cinereach, der San Francisco Film Society und einem großzügigen Stipendium des verstorbenen Roger Ebert unterstützt. Sie wurden als Botschafter für das American Film Showcase und als Sundance Documentary Institute Fellows ausgezeichnet. Sie wurden von Cinema Eye Honors als Filmemacher des Jahrzehnts ausgezeichnet und 2018 wurden sie Mitglieder der Academy of Motion Pictures Arts & Sciences.

Laut Metacritic stehen Bill und Turner Ross auf Platz sechs der bestbewerteten „Filmemacher des 21. Jahrhunderts.

Wenn sie nicht gerade ihre eigenen Filme drehen, arbeiten sie mit Freunden und Filmemacherkollegen wie Benh Zeitlin („Beats of the Southern Wild„, „Wendy“), David Lowery („Ain’t them Bodies Saints„, „A Ghost Story„), A.J. Schnack („Caucus„), Robert Greene („Bisbee’17„), Raoul Peck („I am not your Negro„) und David Byrne zusammen. Sie leben und arbeiten in New Orleans.

Original Titel: Bloody Nose, Empty Pockets

Regie: Bill Ross IV, Turner Ross

Produzenten: Michael Gottwald, Chere Theriot

Executive Producer: Davis Guggenheim, Jonathan Silberberg, Nicole Stott, David Eckles, Minette Nelson, Matt Sargeant, Bryn Mooser, Kathryn Everett, Josh Penn

Mitwirkende: Michael Martin, Cheryl Fink, Marc Paradis, John Nerichow, Lowell Landes, Ira J. Clark, Bruce Hadnot, Pete Radcliffe, Felix Cardona, Al Page, Rikki Redd, Pam Harperm, Shay Walker, Tra Walker, Trevor Moore, Kevin Lara, David S. Lewis, Kamari Stevens, Sophie Woodruff, Miriam Arkin

Kamera: Bill Ross IV, Turner Ross

Visuelle Effekte: Josiah Howison, Markus Rutledge

Schnitt: Bill Ross IV

Musik: Casey Wayne McAllister

Produktion: Department of Motion Pictures

Produktionsjahr: 2020

Genre: Dokumentarfilm

Land: USA

Drehort: Las Vegas, Nevada, USA; Terrytown, Louisiana, USA (Interiors [The Roaring 20s])

Sprache: Englisch

Untertitel: Deutsch

 

Länge: 98 Min

FSK: 12

Seitenverhältnis: 1:1.78

Ton: Surround 5.1

Auflösung: Ultra HD (4K)

Weitere Titel:

Russisch: Разбитый нос, пустые карманы

Ukrainisch: Розбитий ніс, пусті кишені

Polnisch: Czerwony nos, puste kieszenie

Weltpremiere:

2020  Sundance Film Festival: U.S. Dokumentarfilmwettbewerb

 

Internationale Premiere:

2020 Berlinale – Internationale Filmfestspiele Berlin: Panorama

Filmlabel: NONFY Documentaries

Verleih: UCM.ONE

 

Kinostart: 02.12.2021

DVD-Veröffentlichung: tba

VoD-Veröffentlichung: tba

Ein Gespräch mit Bill und Turner Ross (Auszug)

Moderiert von Eric Hynes, Kurator des Museum of the Moving Image

„Da Sie als Dokumentarfilmer um die Welt reisen, haben Sie im Laufe der Jahre sicher viel Zeit in Bars verbracht. Ist dies ein Film, den Sie schon lange einmal machen wollten?“

Bill Ross: „Zur Zeit von „45365“ lebten wir in L.A. und fuhren aus den verschiedensten Gründen durch Vegas. Die Außenbezirke haben uns immer fasziniert. Seitdem träumten wir davon, einen Film in dieser Gegend zu drehen, in der die Menschen entweder versuchen, Fuß zu fassen, oder abstürzen – ein Leben in einem Fegefeuer. Du bist in der Wüste, du bist in dieser künstlichen Stadt, aber du bist im echtesten Teil der künstlichen Stadt. Wir hatten da all diese großen Ideen, die sich hervorragend zum Erforschen eigneten. Wir wollten einen Kitchen Sink-Film machen, in welchem wir all diese Ideen innerhalb von vier Wänden umsetzen konnten.“

Turner Ross: „Im Jahr 2009 haben wir eine Recherchereise dorthin unternommen und zwei Tage lang gefilmt. Die kurzen Farbaufnahmen zwischen den Szenen – vieles davon wurde 2009 gedreht. Wir haben also Drehort- und Figurenstudien gemacht und uns das Ganze genauer angeschaut. Damals, während der Rezession, gingen ganze Stadtviertel den Bach runter, die Leute lebten in Motelzimmern, das war wie die Müllhalde jenseits des Fantasielands. Ursprünglich hatten wir eine viel direktere Herangehensweise, so nach dem Motto: „Okay, wir werden uns einfach hier einrichten und herausfinden, was diese Welt uns zu sagen hat.“ Dann haben wir uns zwar erst einmal anderen Filmprojekten zugewandt, aber das Thema hat uns immer begleitet – wir haben ständig Notizen gemacht und Ideen gesammelt. Nach „Contemporary Color“, einem weiteren Film, der innerhalb von vier Wänden spielt und der in mehreren Nächten mit ausgewählten Charakteren gedreht wurde, kamen wir schließlich auf diese Idee wieder zurück, in Form eines Kneipenfilms. Ein Film, der in einem gemeinsamen, geteilten Raum spielt.“

„Wie kam die Idee mit der Bar zustande?“

Turner Ross: „Als ich neun Jahre alt war, lebte meine Tante in New York und nahm mich mit, um „The Iceman Cometh“ am Broadway zu sehen. Für ein neunjähriges Kind ist das eine Erwachsenendosis. Es ist ein viereinhalbstündiges Bühnenstück über Betrunkene in einer Bar, und was mir immer im Gedächtnis blieb, war die Idee von Menschen mit Träumen, von Menschen mit Geschichten, die alle zueinander finden. Warum wählen sie diesen Ort, diesen Ort des gemeinsamen Trostes, und was bedeutet das? Also haben wir die Idee auf Vegas übertragen, wo dieses Leben im Schatten der hellen Lichter gelebt wird. Warum entscheiden sich diese Menschen dafür, sich von den Lichtern zu entfernen? Welche Geschichten haben sie mitgebracht? Wir gelangten zu einem Szenario, das wir kreieren wollten: einen Raum und eine dynamische Situation, wo die Menschen sie selbst sein und sich wirklich ausdrücken konnten. Wir wollten sehen, welche Dinge in einer dynamischen, vorgegebenen Umgebung entstehen würden.“

„Wie sind Sie auf den Ort gekommen, an dem Sie den Film gedreht haben?“

Bill Ross: „Wir hatten all diese Bars in den Außenbezirken von Vegas ausgekundschaftet und dachten, dass wir uns dort einfach einnisten und filmen könnten, aber wir haben schnell gemerkt, dass das nicht wirklich möglich war. Entweder sah die Bar ästhetisch richtig aus, aber die Leute darin waren es nicht, oder wir fanden eine Bar, in der vielleicht ein paar Leute funktionierten, aber die Bar war nicht die richtige. Nichts passte wirklich zusammen. Und darüber hinaus stellte sich die Frage: Wie erreichen wir das, was wir eigentlich beabsichtigten?“

Turner Ross: „Die Wirklichkeit einer Bar ist nicht so tiefgründig wie die Momente, an die man sich aufgrund der dortigen Erfahrungen erinnert. In diesen Bars in Vegas lernten wir den Look und die Figuren kennen und erkannten, dass all diese Bars ein gemeinsames Thema hatten, nämlich dass die Leute von überall herkamen und sich in einer Art Übergangsphase befanden – eine zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Verhältnissen kamen. Dennoch waren viele der Bars extrem Vegas-artig gestaltet, als ob man in eine Vegas-Themenbar gehen würde. Was wir brauchten, war ein lebendiger Raum, der im Grunde universell ist. Er könnte überall sein, aber er ist auf jeden Fall Vegas. Der Rahmen war wichtiger als die Fakten.“

„Wann und warum haben Sie sich entschieden, in New Orleans zu drehen? Was hat es Sie gekostet?“

Turner Ross: „Kosten ist ein gutes Wort. Das ist tatsächlich die Antwort, denn wir hatten kaum Budget zur Verfügung. Es gibt eine sagenhafte Bar hier in New Orleans, das Roaring 20’s, ein verstecktes Juwel in einem der Außenbezirke, die dieses typische Gefühl der alten Vorstadt von Vegas hat, wie es nur noch wenige Orte haben, denn alles wird gentrifiziert und in eine kitschige Version seiner selbst verwandelt oder es erhält ein kosmopolitisches Upgrade. Und wir konnten sie uns leisten und hatten die volle Kontrolle über diesen Ort. Wir haben dort an drei Tagen gedreht. Es gab einen vorbereitenden Dreh mit den Jugendlichen rund um die Bar und dann einen 18-stündigen Non-Stop-Dreh mit zwei Kameras, welcher der Hauptdreh war. Ein paar Tage später gab es einen Nachdreh, der die Geschehnisse in diesem Zeitrahmen aufgriff, und dann nahmen wir uns ein paar Wochen Zeit, um die Geschichte zu destillieren und nach Vegas zu transportieren. Dort fuhren wir dann mit der Crew hin, wobei das meiste davon es nicht in den fertigen Film geschafft hat. Wir waren immer noch von Vegas begeistert, und der Film erinnert daran, aber letztendlich geht es in dem Film nicht um Vegas oder um das, was davor und danach kommt. Es geht darum, wie die Leute ankommen und wieder gehen, und was in diesem bestimmten Raum passiert.“

„In Ihren Filmen ging es schon immer um Gemeinschaft und Gruppen von Menschen, um das Eindringen in eine Gemeinschaft und darum, dass sie sich Ihnen offenbart. Das Besondere an diesem Film ist, dass das Wesen der Gemeinschaft, ähnlich wie das Wesen einer Bar, ihre Vergänglichkeit ist. Wie kann man in einem so flüchtigen Raum ein Gefühl der Vertrautheit empfinden, und wie stellt man das filmisch dar?“

Turner Ross: „Das ist der Grund, warum wir uns entschieden haben, den Film so zu komponieren, wie wir es getan haben: um Intimität zu schaffen, damit diese Menschen ein Gefühl für den Ort bekommen und sich darin sicher fühlen können. Auch wenn es sich im Film wie eine Gemeinschaft anfühlt, kannten sich die meisten dieser Menschen bis zu dem Tag, an dem wir gefilmt haben, nicht. Es war also ein außergewöhnliches Experiment, herauszufinden, ob das funktionieren würde. Und als dann am zweiten Drehtag einer unserer älteren Jungs tatsächlich weinte, weil er die Bar verlassen musste, wurde uns klar, dass Gemeinschaft das ist, was man als solche deklariert. Das ist ein wichtiger Bestandteil dessen, was wir wollten – herauszufinden, warum wir diese Orte des gemeinsamen Trostes auswählen. Manche Menschen finden das in Kirchen oder beim Sport. Wo auch immer man hingehen kann, um sich selbst zu verlieren, um man selbst zu sein oder wer auch immer man sein möchte, wenn auch nur für einen Moment. Man checkt dort ein und checkt wieder aus. Warum gehst du in eine Flughafenbar und erzählst einem völlig Fremden, der auf dem Weg nach Detroit ist, deine Lebensgeschichte? Das ist ein faszinierendes Szenario.“

„Lassen Sie uns ein wenig darüber sprechen, wer diese Leute sind und wo Sie sie gefunden haben.“

Bill Ross: „Es ist eine Mischung aus Leuten, die wir im Laufe unseres Lebens kennengelernt haben, und der Ausbeute von einer Menge Bar-Castings. Wir sind in ich weiß nicht wie vielen Bars hier in New Orleans gewesen.“

Turner Ross: „Wir haben ein Dutzend Casting-Sessions gemacht. Wir haben uns einfach hingesetzt und mit den Leuten geredet, und so haben wir etwa die Hälfte der Leute gefunden.“

Bill Ross: „Eine der ersten Personen, die mir einfielen, war dieser Typ, den ich in einem Stück hier in New Orleans gesehen hatte. Es war ein anderes Stück von Eugene O’Neill, „Long Day’s Journey Into Night“. Der Typ, der den Vater spielte, war dieser sich abmühende lokale Schauspieler, jemand, der gut ist, aber vielleicht nicht großartig, jemand, der es nicht ganz geschafft hat. Ich konnte ihn mir in dieser Bar vorstellen, und das war dann Michael, und er war während des gesamten Drehs unsere Stütze. Er war unser Mann, unser Insider.“

Turner Ross: „Michaels Charakter ist inspiriert von Michael Jeter aus dem Musical „Grand Hotel“. Er ist hoffnungslos am Ende seiner Kräfte und dies wird sein letztes großes Hurra sein. Darauf hatten wir hingearbeitet. Aber dann gab es, wie bei allen unseren Filmen, eine Aufteilung der Archetypen. Wer füllt eine Gemeinschaft aus, wer eine Bar? Und vieles davon basierte auf Notizen, die wir bei unseren Ausflügen in die Kneipen in den Außenbezirken von Vegas gemacht hatten. Und wir sahen uns „Cheers“ an. Was machen all diese Figuren eigentlich? Wen stellt man hinter die Bar, wer ist der Wingman für eine Person, und wer hält sich einfach im Hintergrund? Und dann fangen diese Leute an, den Raum auszufüllen. In einigen Fällen haben wir einen wirklich starken Typ gecastet und einfach gefragt: „Wer ist dein bester Trinkkumpan?“ Und einige davon sind mit dabei.“

„Wie haben Sie es geschafft, einen Raum zu kreieren, in dem diese relativ Fremden miteinander in Beziehung treten und sie selbst sein können?“

Turner Ross: „Zunächst einmal haben wir die Bar so hergerichtet, wie wir sie haben wollten. Aber wir haben den Raum auch choreografiert. Um 3 Uhr nachmittags wird Jeopardy ausgestrahlt. Ich stellte mir vor, dass sich alle umdrehen würden, um Jeopardy zu sehen, und das taten sie auch, und was würden sie währenddessen sagen? Oder die Musik, oder wer wann und warum in die Bar kommt. Wir haben versucht, dynamische Reaktionen hervorzurufen. Die Figuren waren sich dessen nicht bewusst – die Choreografie war versteckt und das Bühnenbild war in sich geschlossen. Sie betreten also einen Raum, als ob sie eine Bar betreten würden, und sie wissen sonst nichts, und was im Fernsehen passiert, passiert im Fernsehen. Wir haben diesen Rahmen geschaffen, diese eingeschobenen Anreize, um zu versuchen, Interaktionen zu provozieren, und um Szenarien zu kreieren, von denen wir dachten, dass sie spannend sein könnten. Und dann haben wir nach und nach neue Figuren eingeführt, zwei Personen erzählen ihre Geschichte dann einer dritten. Drei Personen sind dann die Stammgäste. Es werden vier, es werden fünf, sechs und sieben, die zusammenkommen. Und plötzlich haben sie alle diese Geschichten, sie haben ihre Positionen und sie haben eine gemeinsame Vorgeschichte, auch wenn sie nur kurz ist. Und je weiter wir kamen, desto mehr übernahmen diese Menschen den Raum. Und sie gestalteten ihre eigene Rolle.“

„Ich könnte mir vorstellen, dass nicht alles so gelaufen ist, wie Sie es erwartet oder gewünscht haben. Besonders während des 18-stündigen Hauptdrehs – wie lief das ab?“

Turner Ross: „Es war Kontrolle und Chaos. Bill und ich hatten unterschiedliche Rollen. Wir hatten eine Checkliste mit Dingen, die wir wollten – Eintritte, Abgänge, Bilder, die zu dieser oder jener Tageszeit stattfinden sollten, was für Musik im Hintergrund und was im Fernsehen läuft. Es gab eine Fünf-Punkte-Checkliste für alle 15 Minuten.“

Bill Turner: „Wir wussten ganz genau, dass das Ganze aus dem Ruder laufen würde. Aber wir wollten eine Struktur haben.“

Turner Ross: „Ich war dafür zuständig, diese Struktur aufrechtzuerhalten, und Bill war dafür zuständig, das zu finden, was sich natürlich ergab. Einige Dinge sind aus dem Schema herausgefallen, andere wurden aus dem Stegreif hinzugefügt. Aber wir wussten, wenn wir bestimmte Kontinuitäten und Handlungsverläufe wollten, mussten wir sie während der Dreharbeiten im Auge behalten. Einige Dinge wurden weitaus tiefgreifender, als wir jemals hätten vorhersehen können, andere wiederum waren von Anfang an tot. Es ist faszinierend, auf die Pläne, die wir hatten, zurückzublicken, denn so vieles davon hat sich tatsächlich verwirklicht. Aber das Großartigste und Dauerhafteste an dem Film sind die Dinge, die durch einen glücklichen Zufall entstanden sind, diese echten emotionalen Interaktionen zwischen diesen Menschen, die wir nicht vorhersehen konnten. Gemeinsam weinende Veteranen. Ein alter Mann, der einem jungen Mann sagt, er solle verschwinden. Ein junger Mann sagt einem älteren Mann, dass seine Generation ihn im Stich gelassen hat. Das sind ehrliche Interaktionen.“

Bill Ross: „Ich glaube, es hat funktioniert, weil unsere Besetzung gut war. Wir haben Leute gecastet, deren Emotionen nahe an der Oberfläche liegen und die kein Problem damit hatten, einfach so zu sein, wie sie sind, und Leute, denen es nicht fremd war, über einen längeren Zeitraum in einer Bar zu sitzen. Es war ihnen vertraut, und nach einer Weile spielte es für niemanden mehr eine Rolle, dass Turner und ich dort waren.“

„Ich finde es toll, wie divers der Raum in Bezug auf Alter, Rasse, Hintergrund und, wie ich annehme, auch in Bezug auf die politische Einstellung ist.“

Bill Ross: „Das geht auf das zurück, was wir in Vegas gesehen haben. Diese Kneipenräume setzen sich aus Menschen zusammen, die sonst nicht zusammenkommen würden. Und das ist faszinierend.“

Turner Ross: „Das Alter wurde zu einem wichtigen Faktor in dieser Sache. Auf eine Art und Weise, die wir bewusst gewählt haben, aber es wurde zu einer Art somatischer Landschaft, die wir nicht vorherbestimmt haben. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem diese Dinge auf natürliche Weise geschehen. Im wirklichen Leben geschehen sie durch Zufall. Und wir mussten ein Szenario schaffen, in dem wir das hervorrufen und zulassen konnten.“

„Wie sind Sie mit den Begleitumständen des Trinkens am Set umgegangen? Offensichtlich ist das ein Teil des Themas, aber haben Sie irgendwelche Beschränkungen oder Leitlinien festgelegt?“

Bill Ross: „Wir waren uns der Risiken sehr bewusst und hatten ein Team vor der Bar, um die Leute wieder nüchtern zu machen. Wenn jemand zu betrunken war, zogen wir denjenigen heraus und setzten ihn in ein Auto, versorgten ihn mit viel Essen und Wasser und sorgten dafür, dass er gut nach Hause kam.“

Turner Ross: „Keiner dieser Leute ist in Sachen Alkohol ein Anfänger. Das ist Realismus, und wir wollten nicht den Eindruck erwecken, dass diese Leute alkoholfreies Bier trinken. Das sind Leute, die Alkohol trinken. Dies ist ein Raum für Alkoholismus. Diese Menschen trinken und stehen in diesem Rahmen in Beziehung zueinander, und das ist das Gerüst dieses Films. Wir konnten das nicht ohne Alkohol erreichen, also gab es kein Herumdrucksen damit. Es war so: Wir eröffnen eine Bar. Ihr werdet so trinken, wie ihr trinkt. Und wir werden in das alles eingebunden sein. Am Ende hatten wir eine Reihe von Leuten, die bereit waren, sich darauf einzulassen.“

„Wissen Sie, ob einige von der Gruppe nach den Dreharbeiten in Kontakt geblieben sind? Ob einige von ihnen aufgrund des Films zu Trinkkumpanen geworden sind?“

Bill Ross: „Auf jeden Fall! Zwei von ihnen sind dort Barkeeper geworden. Der alte Lowell mit den langen weißen Haaren ist erst vor einer Woche nach Australien geflogen, um mit John dem Australier auf Tour zu gehen. Sie haben zusammen einen betrunkenen Roadtrip durch Australien gemacht. Sie hatten so viel Spaß zusammen, dass sie weitermachen wollten.“

„Ich würde Ihnen gerne eine Frage über die Konstruktion als Weg zur Wahrheit stellen, über das Spannungsfeld zwischen kreativen Entscheidungen und dem Leben, das sich vor einem abspielt. Jeder Filmemacher hat seine eigene Vorstellung davon, wo die Grenze verläuft, was wichtig ist und wie man dorthin gelangt. Wie sieht diese Vorstellung für Sie beide aus?“

Turner Ross: „Ich glaube, das ist ein Gedanke, der sich ständig weiterentwickelt, aber in diesem Fall hatten wir das Gefühl, dass wir nur dann das erreichen würden, was wir im wirklichen Leben erlebt hatten, wenn wir dieses Szenario erschaffen. Anstatt ein Drehbuch zu schreiben und zu sagen: „Spielt mir das vor“, versuchen wir, Welten zu kreieren, die diese Szenarien heraufbeschwören. Damit versuchen wir, das Reale entweder hervorzurufen oder ihm beizuwohnen. Es ist einfach viel kraftvoller, wenn man etwas erlebt. Wenn wir dafür einen Rahmen schaffen müssen, um das hervorzurufen, und wenn wir es dann aufbereiten müssen, damit der Zuschauer diese Erfahrung auf die Art und Weise machen kann, die wir für am wirkungsvollsten halten, dann werden wir genau das tun.“

Bill Ross: „Der Zweck heiligt den Prozess. Uns geht es darum, den teilbaren Moment, das teilbare Gefühl, die teilbare Erfahrung zu finden, die man emotional im Leben oder durch das Medium Kunst macht, und diese authentischen Erfahrungen einzufangen. Und das war bei all unseren Filmen der Fall. Wir haben ein Bild im Kopf oder ein Gefühl, und wir haben alles Notwendige unternommen, um zu dieser Wahrhaftigkeit zu gelangen.

Turner Ross: „Wir versuchen auch nicht, unter dem Deckmäntelchen des Dokumentarfilms zu operieren. Das ist nicht der Bereich, den wir uns ausgesucht haben – es ist der Bereich, in dem unsere Filme existieren. Für uns ist das die Art und Weise, wie wir Filme machen wollen. Wir wollen die Realität, den Naturalismus, den Realismus, die Dinge, die uns umgeben und die uns zur Verfügung stehen, nutzen, um zusammen diese handgemachten Filme zu machen. Wir wollen Filme machen, die voller Ideen sind, und wir wollen Dinge ausprobieren. Und es hat sich ergeben, dass die Palette, mit der wir malen, aus dem wirklichen Leben stammt. Wir mögen zwar Autoren oder Provokateure sein, aber wir haben diese Performances nicht aus diesen Menschen herausgekitzelt, diese Menschen geben uns ein authentisches Stück ihres Lebens.“

Preise

2020 Nevada City Film Festival, USA: “Bester Film des Festivals“ -> Bloody Nose, Empty Pockets
2020 Nevada City Film Festival, USA: “Bester Dokumentarfilm des Festivals“ -> Bloody Nose, Empty Pockets
2020 True/False Film Fest: “Bester Dokumentarfilm“ -> Bloody Nose, Empty Pockets
2020 Champs-Élysées Film Festival: “Beste Regie bei US-amerikanischen Spielfilmen“ -> Bill Ross IV, Turner Ross
2021 Cinema Eye Honors Awards, USA: „Heterodox Award“ für den besten Beitrag -> Bloody Nose, Empty Pockets

Trailer (englisch mit deutschen Untertiteln)

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Pressestimmen

„Urkomisch und manchmal herzzerreißend.“ (The Guardian)

„Ein genialer, berauschender KeinpenfFilm. Gleichzeitig eine große filmische Täuschung und ein kühnes Filmexperiment.“ (Indiewire)

„Verwischt die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit mit berauschender Wirkung.“ (Daily Telegraph)

„Ein zartes Mosaik verlorener Seelen, die sich ihre eigene Familie schaffen.“ (Film Stage)

„Ein Trauergesang an eine Bar, der einem das Herz zerreißt. […] Warm und wundervoll, ohne sentimental zu sein.“ (Vulture)

„Eine meisterhafte Ode an die Eckkneipe.“ (NME)

„Bloody Nose, Empty Pockets zeigt sich quicklebendig und gehaltvoll, ein echtes Beispiel für die Fähigkeit des Kinos, die unendliche Vielfalt des Lebens auf der Welt zu beleuchten. […] Der Film ist ein Wunder.“ (Vanityfair)

„Voller Menschlichkeit, geerdet in Bescheidenheit und verliebt in die Poesie der Gesichter.“ (Rogerebert.com)

„Äußerst fesselnd und beeindruckend.“ (Irish Times)

„Herrlich chaotisch und mitreißend und so unwiderstehlich real.“ (Time Out London)

„Ein mitfühlender, tragischer, komischer, bitterer Besuch an einem erfundenen Ort voll wahrhaftiger Charaktere.“ (Moviebreak.de)

Neuigkeiten

🎬 „Bloody Bose, Empty Pockets“ (NONFY Documentaries) ab heute auf DVD erhältlich

Nach dem Kinostart im Dezember 2021 ist der gefeierte Dokumentarfilm „Bloody Nose, Empty Pockets“ nun auch auf DVD sowie bei Streaming-Portalen erhältlich. Der Film von von Bill Ross IV & Turner Ross feierte seine Weltpremiere beim Sundance Film Festival 2020 und seine internationale Premiere im selben Jahr bei der Berlinale in der Panorama Sektion, bevor er trotz Corona-Pandemie eine beeindruckende…

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„Bloody Nose, Empty Pockets“ (NONFY Documentaries) ab heute im Kino zu sehen

Am Donnerstag, 02. Dezember 2021, startet Bloody Nose, Empty Pockets auf dem Filmlabel NONFY Documentaries im Verleih der UCM.ONE bundesweit im Kino. Anfang 2020 feierte der Film seine Weltpremiere beim Sundance Film Festival und seine internationale Premiere im selben Jahr bei der Berlinale in der Panorama Sektion, bevor er trotz Corona-Pandemie eine beeindruckende Festivalkarriere absolvierte.…

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Kinostart „Bloody Nose, Empty Pockets“ am 02. Dezember 2021

Der gefeierte Dokumentarfilm Bloody Nose, Empty Pockets von den Regisseuren Bill und Turner Ross wird am 02. Dezember 2021 im Verleih von UCM.ONE auf dem Label NONFY Documentaries bundesweit in den Kinos starten. Der Film feierte 2020 seine Weltpremiere beim Sundance Film Festival und seine internationale Premier im selben Jahr bei der Berlinale in der Panorama Sektion,…

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